„Das ist alles furchtbar“
Wie die Kanzlerin in der Corona-Krise die Nerven verliert
Von Alexander Kissler NZZ
Der Ton zwischen Politik und Bevölkerung wird gereizter. Angela Merkel und andere deutsche Spitzenpolitiker reagieren dünnhäutig auf Kritik und nehmen die Bürger in die Verantwortung. Den Blick auf eigene Versäumnisse scheuen sie jedoch.
- Dem letzten sächsischen König wird der Satz «Dann macht doch euern Dreck alleene!» zugeschrieben. So treffend fasst dieser Satz auch das Wesen aller Politik zusammen. Diese sieht sich oft Situationen gegenüber, die sie nicht beeinflussen kann. Dann bleibt nur die Arbeit am Unvermeidlichen – oder die Flucht zur beleidigten Leberwurst.
- Auch die Kanzlerin scheint der Versuchung zur trotzigen Pampigkeit zu erliegen. Die Nerven liegen blank. «Was wollen wir denn jetzt noch meckern?» antwortete sie auf die Frage nach dem schleppenden Impfverlauf und lobte Biontech und deren Mitarbeiter. Niemand wirft den Impfstoffproduzenten aus Mainz jedoch vor, Faulpelze zu sein. Aber es gibt begründete Kritik an der mangelnden Verfügbarkeit der Vakzine in Deutschland und dem – verglichen mit anderen Ländern – langsamen Impftempo.
- Kritik als «meckern» zu verunglimpfen, zeugt von einem seltsamen Bewusstsein für die Art und Weise, in der die Regierung mit der Bevölkerung kommunizieren sollte.
- Merkels Ausbruch ist sinnbildlich. Je lauter die Kritik am deutschen Anti-Corona-Management in der Bevölkerung wird, desto harscher fallen die Retourkutschen mancher Politiker aus.
- Am Beginn des neuen Jahres scheint für die Kanzlerin angesichts weiterhin hoher Infektionszahlen klar: „Die Menschen» waren nicht folgsam genug“
- Spahn münzte Kritik an seiner mäßig erfolgreichen Bestellpraxis und an der Trägheit des deutschen Gesundheitssystems um in die allgemeine Warnung vor einem «Jahr der Schuldzuweisungen». Die Frage nach der politischen Verantwortung wird faktisch zur Schuldzuweisung an den, der fragt.
- Gleiches gilt für Söder, der in Bayern auf die derzeit höchste Zahl an Neuinfektionen blickt, trotz Söders markigen Worten und seinem Beharren, die Corona-Krise sei «Bewährungsprobe und Charaktertest» für alle.
- Gemeint ist offenbar der Charakter der anderen, der Bürger, an deren Verhalten sich entscheide, ob das Land die Krise überwindet. Söder will wie Merkel und Spahn das eigene Tun von Kritik fernhalten, indem er den Blick nach vorne empfiehlt, weg von möglichen Fehlern in der Vergangenheit.
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