Verfassungsrechtliche Probleme der Coronabekämpfung
Der Verfassungsrechtler Dr. Dietrich Murswiek von der Universität Freiburg hat für die Enquete-Kommission des Landtages Rheinlandfalz eine Expertise zu verfassungsrechtlichen Problemen der Coronabekäpfung erstellt und am 16.08.2020 vorgestellt.
Ich prophezeie mal, dass diese Expertise in den Schubladen verschwinden und ohne Konsequenzen bleiben und schon gar nicht publiziert und veröffentlicht wird.
In seinem mündlichen Statement bei der Vorstellung der Expertise kommt Murswiek zusammenfassendem zu folgendem Schluss:
1. Der am 22. März 2020 beschlossene Lockdown des öffentlichen Lebens bewirkte flächendeckende, alle Menschen in Deutschland betreffende Freiheitsbeschränkungen, die weitestreichenden in der Geschichte der Bundesrepublik.
2. Diese Freiheitsbeschränkunken waren dann verfassungsgemäß, wenn sie unbedingt erforderlich waren, um katastrophale Folgen der SARS-CoV-2 Pandemie abzuwenden
3. Ziel war es die Kurve der Neuinfektionen abzuflachen, um zu verhindern, dass es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommt.
4. Aber katastrophale Folgen mit Überlastung der Intensivstationen hätte es nach den heutigen Erkenntnissen auch ohne den Lockdown nicht gegeben.
5. Die Reproduktionszahl war schon vor dem Lockdown im Sinken und lag zu Beginn des Lockdown knapp unter 1, wo sie danach ziemlich stabil geblieben ist.
6. Das konnten die Politiker aber noch nicht wissen, als sie am 22.3. über den Lockdown entschieden. Auf der Basis des damaligen Erkenntnisstandes wird man die Erforderlichkeit des Lockdown daher bejahen können.
7. Es spricht vieles dafür, dass der Lockdown jedenfalls am 15. April nicht hätte verlängert werden dürfen. Zu diesem Zeitpunkt war klar erkennbar, dass es nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen würde.
8. Die Verfassungsmäßigkeit des Lockdowns setzt außerdem voraus, dass er im engeren Sinne verhältnismäßig war. Das setzt eine Abwägung zwischen angestrebter Nutzung und die durch ihn bewirkten Nachteile voraus.
9. Die Abwägung darf nicht auf einer ganz abstrakten Ebene stattfinden nach dem Motto: „Im Kampf gegen Corona geht es um den Schutz des Lebens. Das ist das höchste Gut. Dahinter muss alles andere zurücktreten, und dafür ist jeder Freiheitseingriff gerechtfertigt.“
10. So kann man verfassungsrechtlich nicht argumentieren. Es kommt auf den konkreten Nutzen an, den der Lockdown bewirken soll und auf die konkreten Nachteile und Schäden, die er zur Folge hat.
11. Auf der Seite des Nutzens steht die Minderung des Risikos, dass Menschen an Covid-19 sterben müssen, weil sie wegen Überlastung der Intensivstationen keine optimale Behandlung erhalten.
12. Die Beschreibung und Gewichtung des Nutzens wäre verfassungsrechtlich fehlerhaft, wenn man hier einfach auf die Gesamtzahl der ohne Lockdown prognostizierten „Corona-Toten“ abstellte. Denn der Lockdown kann nur einen Teil dieser Todesfälle verhindern, weil er das Risiko, an Covid-19 zu sterben, nicht beseitigt, sondern nur vermindert und zeitlich streckt.
13. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die sogenannten „Corona-Toten“ zwar mit Corona, aber nicht oder nicht nur an Corona gestorben sind. In der Regel überwiegen andere Kausalfaktoren bei weitem. Die meisten „Corona-Toten“ sind über 80 und multimorbid.
14. Wenn sie sich in einem Gesundheitszustand befanden, in dem auch eine gewöhnliche Grippe den Tod hätte auslösen können, ist der Kausalanteil des Virus sehr viel geringer, als wenn ein zuvor gesunder junger Mensch an Covid-19 stürbe. Für eine realistische Bewertung des Nutzens von Corona-Bekämpfungsmaßnahmen ist es unerlässlich, bei „Corona-Toten“ die Todesursachen zu untersuchen, zu dokumentieren und in der Statistik differenziert darzustellen.
15. Darüber hinaus darf bei der Beschreibung und Bewertung der Covid-19-Risiken die Wahrscheinlichkeitskomponente nicht ausgeblendet werden. Man darf nicht so argumentieren, als sei ohne den Lockdown die Überlastung des Gesundheitssystems mit einer daraus resultierenden Anzahl zusätzlicher Todesfälle mit Sicherheit zu erwarten, wenn nur eine gewisse, möglicherweise sehr geringe, Wahrscheinlichkeit für diese Prognose spricht.
16. Auf der Seite der Nachteile des Lockdowns stehen die umfangreichsten Freiheitseinschränkungen, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, sowie die größten ökonomischen Schäden, die je in Friedenszeiten in Deutschland durch eine politische Entscheidung verursacht worden sind.
17. Die Maskenpflicht bedarf dringend einer Evaluierung. Der Nutzen ist umstritten. Er sollte dringend wissenschaftlich untersucht werden, damit eine sinnvolle Überprüfung der Maskenpflicht auf ihre Verhältnismäßigkeit möglich wird. Selbst wenn dabei herauskäme, dass die Masken nicht völlig ungeeignet sind, sondern dass sie die Verbreitung des Virus hemmen, stellt sich die Frage: Kann man dauerhaft über 80 Millionen völlig gesunde Menschen zum Tragen einer Maske verpflichten, damit ein paar Tausend Maskenträger – weniger als 0,05 Prozent –, die unerkannt mit Covid-19 infiziert sind, die Viren etwas weniger intensiv verbreiten als ohne Maske?
18. Für die Zukunft ist dringend zu empfehlen: Werden weitreichende Freiheitseinschränkungen auf schmaler Erkenntnisbasis getroffen, dann ist es ganz vordringlich, die Erkenntnisbasis schnell zu verbreitern. Im Falle der Covid-19-Epidemie fehlten repräsentative Tests, ohne die ein realistisches Bild von der Gefährlichkeit des Virus gar nicht gewonnen werden kann. Außerdem ist es wichtig, dass die Politik zur Gewinnung einer umfassenden Risikoabschätzungsgrundlage Wissenschaftler mit unterschiedlichen Standpunkten anhört, dass sie neben Virologen auch Epidemiologen und Pathologen zu Rate zieht und dass sie außerdem Experten heranzieht, die sie bei der Erfassung und Bewertung der unerwünschten Nebenfolgen und Kollateralschäden von Pandemie-Bekämpfungsmaßnahmen beraten.“
19.
Das komplette
Papier, in dem Murswiek seine Rechtsausführung ausführlich begründet finden Sie
hier.
Lesen Sie auch: Eine rechtliche Einordnung der Corona-Politik
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