von Fritz Vahrenholt/ Roland Tichy
Für Angela Merkel sind es nur wenige Worte: „Wir wollen bis 2050 klimaneutral
sein.“ In der andächtigen Stimmung auf dem Evangelischen Kirchentag in
Dortmund, wo die Bundeskanzlerin sie sagte, folgte darauf Beifall der
Gläubigen. Kein Wunder: Schließlich hatte der frühere investigative Journalist
Hans Leyendecker als Präsident des Kirchentages ex cathedra verkündet: „Wer
nicht anerkennen will, dass der Klimawandel menschengemacht ist, hat beim
Kirchentag nichts zu suchen.“
Es geht also nicht mehr um wissenschaftliche Prüfung, sondern um ein neues Glaubensdogma – wer will da noch Zweifel wagen, wenn er nicht Galileo Galilei heißt? Die Kanzlerin konnte sich in der Einigkeit wärmen, die Religion dem Herz bietet. Wer will da schon nachrechnen, was es für die deutschen Haushalte finanziell bedeutet, wenn den Worten Taten folgen.
Die Kanzlerin will nun in der Klimapolitik „kein Pillepalle“ mehr, wie sie schon einige Tage zuvor den Bundestagsabgeordneten der Union verkündet hatte. Die Fridays-for-Future-Demonstrationen fordern die Reduktion auf null schon bis 2035, das Kommunikationsdesaster durch Youtuber Rezos „Die Zerstörung der CDU“-Video und die Wahl- und Umfrageerfolge der Grünen haben ganz offensichtlich bei der Kanzlerin Wirkung gezeigt.
Es geht also nicht mehr um wissenschaftliche Prüfung, sondern um ein neues Glaubensdogma – wer will da noch Zweifel wagen, wenn er nicht Galileo Galilei heißt? Die Kanzlerin konnte sich in der Einigkeit wärmen, die Religion dem Herz bietet. Wer will da schon nachrechnen, was es für die deutschen Haushalte finanziell bedeutet, wenn den Worten Taten folgen.
Die Kanzlerin will nun in der Klimapolitik „kein Pillepalle“ mehr, wie sie schon einige Tage zuvor den Bundestagsabgeordneten der Union verkündet hatte. Die Fridays-for-Future-Demonstrationen fordern die Reduktion auf null schon bis 2035, das Kommunikationsdesaster durch Youtuber Rezos „Die Zerstörung der CDU“-Video und die Wahl- und Umfrageerfolge der Grünen haben ganz offensichtlich bei der Kanzlerin Wirkung gezeigt.
Man erinnert sich an 2011 und die Hauruck-Entscheidung zum vorzeitigen
Atomausstieg. Wenn Merkel den Eindruck gewinnt, dass die Deutschen gerne die
Welt retten wollen, dann entscheidet sie manchmal eben ganz schnell, koste es,
was es wolle. Nur Stimmen und Stimmung zählen. Ökonomische oder sonstige
Rationalitäten spielen dann keine Rolle mehr – wie später dann auch bei der
Grenzöffnung. Und jetzt die Klimawende wegen demonstrierender Schüler und
singender Protestanten.
Nach einem zweistündigen Besuch am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung
(PIK) am 14. Juni hatte sich Merkel dann offenbar entschlossen, klimapolitisch
aufzudrehen. Nach diesem Gespräch verkündete PIK-Direktor Ottmar Edenhofer ganz
überwältigt: „Die Bundeskanzlerin packt nach der Finanzkrise und der Flüchtlingskrise
nun die Klimakrise an.“ Na dann, so ist man versucht zu ergänzen, das sind ja
grandiose Aussichten!
„Pillepalle“ – damit meint Merkel offenbar das bisherige CO2-Reduktionsziel von
90 Prozent bis 2050. Einst – 1994 – hatte der damalige Deutsche-Bank-Chef
Hilmar Kopper für Empörung gesorgt, weil er eine Schadenssumme von 50 Millionen
Deutscher Mark etwas überheblich als „Peanuts“ bezeichnet hatte. Es wurde das
Unwort des Jahres. Doch was ist im Vergleich dazu Merkels Pillepalle? Es ist
eine Zahl mit zwölf statt sieben Nullen hinter der aufgerundeten Fünf. Bei so
viel Nullen geht der Durchblick für den Bürger und der Überblick für eine
Kanzlerin schnell verloren.
Etwa 4600 Milliarden Euro, es können aber auch 5000 Milliarden sein, also 4,6
oder fünf Billionen. Das haben Experten der Nationalen Akademie der
Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften
(acatech) und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften für ihren im
November 2017 veröffentlichten Bericht („Sektorkopplung – Untersuchungen und
Überlegungen zur Entwicklung eines integrierten Energiesystems“) errechnet. Pro
Haushalt in Deutschland bedeutet diese Gesamtsumme monatliche Mehrkosten von
entweder 640 Euro (wenn die Reduktion schon 2035 geschafft sein soll) oder 320
Euro, wenn die Reduktion bis 2050 gestreckt wird. Monatlich, wohlgemerkt, nicht
jährlich. Das ist also Merkels Pillepalle aus der Sicht der Menschen, die es
bezahlen müssen.
Die entscheidende Erkenntnis aus dem Zahlenwerk der Forscher – finanziert von
der Bundesregierung – ist aber nicht nur diese eine astronomische Summe aus
Investitions-, Kapital- und Betriebskosten. Bei der Einsparung von Emissionen
ist es wie beim Leistungssport: Die notwendige Trainingsanstrengung für weitere
Leistungsverbesserungen wird immer größer, je weiter man sich dem absoluten
Maximum des Machbaren annähert. Das heißt: Jeder weitere zusätzliche
CO2-Reduktionsschritt ist deutlich teurer als der vorangegangene.
Merkel fordert Kostenexplosion
Als Referenzwert ist eine 40-prozentige CO2-Minderung bis 2030 angenommen
worden. Die bis dahin entstehenden Kosten berechnen die Forscher mit 1500
Milliarden Euro. Mutig nehmen sie an, dass sich die Kosten bis zu einer
Minderung um 60 Prozent nicht wesentlich ändern. Die Autoren des Berichts
beschreiben dann allerdings die nächsten Stufen wie folgt: „Es wird deutlich,
dass sich die Kosten für das Energiesystem als Ganzes mit steigenden
Reduktionszielen bei sonst gleichen Randbedingungen stark erhöhen. Diese
Zunahme wächst stärker als proportional mit dem Minderungsziel: Eine
zusätzliche Minderung um 15 Prozentpunkte (von 60 auf 75 Prozent) führt zu
höheren systemischen Gesamtkosten von rund 800 Milliarden Euro, während eine
weitere Minderung um zehn Prozentpunkte (von 75 auf 85 Prozent) fast 1000
Milliarden Euro Mehrkosten verursacht und eine nochmalige Minderung um weitere
fünf Prozentpunkte (von 85 auf 90 Prozent) weitere rund 1300 Milliarden Euro.“
Wie ist diese exponentielle Kostensteigerung zu erklären? Die Autoren des Berichts:
„Der technische Aufwand für jede weitere Minderung wird bei bereits hohen
Werten ungleich höher, da alle Potenziale für direkte Stromnutzung ausgereizt
sind und kostengünstiges fossiles Erdgas durch aufwendig hergestellte
synthetische Energieträger ersetzt werden muss. Neben den Wandlungsanlagen wie
Elektrolyseuren einschließlich der gesamten dafür benötigten Infrastruktur
erfordert dies einen hohen weiteren Zubau an Solar- und Windanlagen, um den
Strom zum Betrieb der Elektrolyseure CO2-frei bereitstellen zu können.“
Führt man diese Schätzung nun über die 90 Prozent hinaus fort, so kommt man
entsprechend der exponentiellen Steigerung auf zusätzliche Kosten für die
letzten zehn Prozentpunkte bis zur Nullemission von rund 3000 Milliarden Euro.
Diese Summe von rund drei Billionen Euro macht also den Unterschied zwischen
dem bisherigen Pillepalle von 4,6 Billionen und Merkels nunmehr angepeiltem
Nullemissionsziel aus. Das neue Versprechen der Kanzlerin, auch noch die
letzten zehn Prozentpunkte CO2-Reduktion zu erzielen, erhöht die zusätzlichen
Energiekosten von 4600 auf rund 7600 Milliarden Euro bis 2050.
Das ist eine enorme Zahl – für die Vorstellung: Sie beträgt mehr als das
Doppelte aller im Jahr 2018 in Deutschland hergestellten Güter und Dienstleistungen.
Das ist nicht mehr mit dem üblichen Hütchenspiel darstellbar, in dem wachsende
Kosten zwischen Haushalten und Schattenhaushalten, Steuerzahlern, Wirtschaft
und Staatsetat hin und her geschoben werden. Es schlägt gnadenlos durch auf die
deutschen Konsumenten, die schon jetzt mit den europaweit höchsten
Energiekosten belastet werden. Wenn es nach Greta Thunberg, dem lauten Chor der
Klimaaktivisten und Merkels Versprechungen ginge, die das Nullemissionsziel
schon 2035 erreicht haben wollen, werden pro Haushalt Mehrkosten von mindestens
1050 Euro im Monat fällig.
Kein Wohlstand mehr für alle
Die Energiewende, so machen diese gigantischen Summen deutlich, wird damit zu
einem gigantischen Wohlstandsvernichtungs- oder gar Verarmungsprogramm für
weite Teile der Bevölkerung. Welche Familie kann sich schon eine monatliche
Mehrbelastung zwischen 500 und 1000 Euro leisten, ohne sich dafür in der
alltäglichen Lebensführung sehr deutlich einschränken zu müssen? Der
sozialpolitische Kampf um die Verteilung dieser Kosten könnte in den kommenden
Jahren und Jahrzehnten bei manch einem heute noch jungen
Klimarettungsenthusiasten zu erheblichen Desillusionierungen führen, sobald man
selbst die Stromrechnung bezahlt.
Aber nicht nur die finanziellen Aufwendungen für die Nullemission dürften ein
wachsendes gesellschaftliches Konfliktpotenzial bedeuten. Da auch Verkehr und
Wärme komplett dekarbonisiert, also größtenteils elektrifiziert werden sollen,
wozu laut Bericht „mit rund 1150 Terawattstunden sogar fast doppelt so viel
Strom benötigt“ wird wie heute, und man sich ganz auf Wind und Photovoltaik
verlassen will, kommt der Bericht zu dem Schluss: „Die installierte Leistung an
Windkraft und Photovoltaik müsste in diesem Fall (bei gleichbleibendem
Energieverbrauch) gegenüber heute versiebenfacht werden.“
Richtig gelesen. Nicht verdoppelt oder verdreifacht, sondern versiebenfacht.
Wer durch deutsche Landschaften der Gegenwart fährt, kann sich ausmalen, was
das bedeutet: Kaum ein Flecken Deutschlands bliebe verschont – selbst wenn man
von einer Verdopplung der Kapazität der einzelnen Windräder ausgeht. Alle 1,5
Kilometer stünde dann eine 200 Meter hohe Windmühle. Noch stehen keine
Windräder vor dem Bundeskanzleramt oder im Englischen Garten in München oder an
Hamburgs Binnenalster. Die Vernichtung der Heimat findet im ländlichen Raum
statt, wo wenig Wähler wohnen. Aber wird die Zahl der Windräder versiebenfacht,
dann rücken sie an die Städte heran und zerhacken die grünen Lungen im Umfeld
der Ballungsräume.
Windindustriegelände statt Wälder
Schon heute wehren sich Zigtausende Bürger ländlicher Regionen in unzähligen
Initiativen gegen den weiteren Zubau von Windkraftanlagen. Viele sind
erfolgreich und haben erreicht, dass Kommunalpolitiker kaum noch neue Windparks
genehmigen. Das Umweltbundesamt sorgt sich deswegen schon wegen des drohenden
Scheiterns der Energiewende an der Bürgerakzeptanz und empfiehlt, Windräder
statt auf landwirtschaftliche Flächen lieber zwischen die Wipfel der Wälder zu
bauen. Vorteil: Der Wald ist größtenteils in öffentlicher Hand und der
Naturschutz leistet dort selten Widerstand. Wer mal über die A61 zwischen
Bingen und Koblenz gefahren ist, weiß wie das Ergebnis aussieht. Das jüngste
Opfer ist der Reinhardswald in Hessen, der einst als Märchenwald galt. Wald
wird vernichtet, der eigentlich CO2 binden soll. Der Klimaschutz zerstört sich
selbst.
Weil der Widerstand gegen die Wind- räder wächst, mehren sich auch Stimmen aus
der Energiewirtschaft, nun stärker auf Photovoltaik zu setzen, die mittlerweile
ihren Kostennachteil gegenüber der Windenergie aufgeholt hat. Besonders
wohltuend für Kulturlandschaften sind diese Anlagen, sofern sie nicht auf
Hausdächern platziert sind, allerdings auch nicht. Vor allem aber: Das Ergebnis
dürfte für die Energieversorgung noch brüchiger werden, denn die Sonne erzeugt
in den Wintermonaten kaum Strom, sodass ohne Windenergie rund sechs Monate im
Jahr durch Speicherung gedeckt werden müssten.
Wie Hans-Werner Sinn, der frühere Präsident des Ifo-Instituts, gezeigt hat, ist
diese Speicherung in Deutschland durch Pumpspeicherwerke oder Batterien in der
Praxis ausgeschlossen. Auch die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Idee
der dezentralen Speicherung, etwa in privaten E-Autos, in der Praxis nicht
funktionieren werde, allenfalls als Kurzzeitspeicher: „Die Pufferkapazität der
Elektroflotte liegt im Bereich von einigen Stunden.“ Verlangt werden aber bis
zu fünf oder sechs Monate zur Überbrückung der Dunkelflaute. Auch ist fraglich,
ob die Autobesitzer bereit sind, sich bei der Nutzung ihrer Fahrzeuge
reglementieren zu lassen und Batterien statt Fahrzeuge unterhalten.
Strompreise versechsfachen
Die einzige Alternative bestünde darin, den im Sommer überschüssigen Solarstrom
zur Herstellung von Wasserstoff und Methan zu nutzen („power to gas“). Das ist
technisch möglich, aber extrem teuer, weil bei den Umwandlungsschritten etwa 70
Prozent der Energie verloren gehen. Selbst die optimistischsten Szenarien
errechnen dafür eine Versechsfachung des entsprechenden Strompreises.
Damit stellt sich die simple Frage: Wer soll das bezahlen? Derzeit sind es die
Verbraucher. Die sogenannte stromintensive Industrie ist freigestellt und darf
ihre Energiekosten auf ihre Arbeitnehmer und Kunden abwälzen. Beliebig senken
kann die Wirtschaft ihre Energiekosten aber nicht. Immer mehr Unternehmen
operieren an der Grenze des physikalisch Machbaren – es sind die Grenzen der
Physik, die auch mit mehr Mitteleinsatz nicht überwunden werden können. Der
Chemiekonzern BASF beispielsweise hat seinen „CO2-Ausstoß halbiert“, rechnet
Saori Dubourg vor, im Vorstand für Bau-Chemie und Europageschäft mit insgesamt
80 000 Mitarbeitern zuständig. „Mehr geht nicht“.
Ähnlich argumentieren die Stahlindustrie, die Aluminiumindustrie, die
Zementindustrie – alles Branchen, die schon heute zum Abwandern gezwungen sind
und noch die alten Anlagen ausquetschen. Drastische CO2-Minderungsziele, wie
sie die Bundesregierung der deutschen Industrie vorschreibt, sind Alleingänge
und bestimmen das nationale Kostenniveau. „Aber wir haben keine nationalen
Märkte“, so Dubourg, die sich ausdrücklich zu den Pariser Klimaschutzzielen
bekennt: Bei einem derartigen Alleingang müsse die Industrie über eine
„Verschiebung von Investitionen“ nachdenken. Sie sagt es im kleinen Kreis,
öffentlich schweigt die Wirtschaft. Andere Industrien haben vielleicht noch
Luft – doch teuer wird’s in jedem Fall und die Struktur der Industrie wird sich
verändern – das heißt: verschwinden.
Beispiel Auto: Was passiert, wenn die individuelle Mobilität lahmgelegt oder
die Produktion in Deutschland zu teuer wird? „Wenn das Auto verschwindet, gehen
die Lichter aus“, sagt Joe Kaeser, Chef der Siemens AG, „und das ganz ohne
Energiekrise. Die gesamte Wertschöpfungskette bricht zusammen, flächendeckend.“
Lange Wertschöpfungsketten – vom Endprodukt über Zulieferung bis zur
Grundstoffindustrie – sind das Geheimnis der deutschen Industrie. Es ist eine
Kompetenzkette, die immer neue Glieder verliert. Was da zusammenbricht, ist
beispielsweise die Energie-Division von Siemens. Aufträge für energieeffiziente
Turbinen? „Genau null“, so Kaeser. Zu Tausenden werden jetzt die Jobs
gestrichen. Das sind die eigentlichen Kosten, die in den Kalkulationen noch gar
nicht enthalten sind. „Wir sind eben nicht Greenpeace mit angeschlossener
Produktion“, kommentiert Dubourg trocken.
Folgt man der Kanzlerin, dann müsste hinter jeder Fabrik eine weitere
entstehen, die CO2 irgendwie entfernt. In die Erde zu pumpen und zu speichern –
dieser Weg ist mittlerweile in Deutschland gesetzlich untersagt. Deutschland
lebt wie im Wunderland: Alle Wünsche sollen erfüllt werden, Kosten werden
verdrängt. Aber das klappt nur in der von der Wirklichkeit abgeschotteten Blase
Berlins, vielleicht noch ein paar Kilometer bis hin zum Potsdamer
Klimainstitut.
3000 Billionen für vier Monate
Das ganze Ausmaß des Fiaskos, in das Angela Merkels jüngste
Klimaschutzoffensive das Land führt, wird umso unbegreiflicher, wenn man die
physikalische Wirkung in Relation zu den drei Billionen Euro setzt, die die
deutschen Haushalte in den kommenden drei Jahrzehnten aufzuwenden haben werden.
Der Schritt vom vermeintlichen Pillepalle zur Nullemission ist schließlich nur
einer um die letzten zehn Prozentpunkte, die teuersten.
Die drei Billionen Euro, die die Deutschen dafür bezahlen, ersparen der
Erdatmosphäre ungefähr die Menge an CO2, die dem Zuwachs der Emissionen Chinas
in vier Monaten entspricht. Diese sind von 2017 auf 2018 um etwa 250 Millionen
Tonnen gestiegen. Insgesamt emittierte China im vergangenen Jahr rund 9500
Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Die deutschen CO2-Gesamtemissionen betrugen
etwa 870 Millionen Tonnen – also weniger als zehn Prozent der chinesischen. Und
China hat im Rahmen des Pariser Abkommens erklärt, dass es bis 2030 die
gigantische Menge von 12 500 Millionen Tonnen erreichen wird. Am Anfang geht’s
billig. Vernünftig wäre es also, in China mehr zu sparen und in Deutschland
weniger.
Aber um harte Zahlen scheint es der Kanzlerin in dieser Frage ohnehin nicht zu
gehen. Auf dem Kirchentag sprach sie davon, dass Deutschland die
„Verpflichtung“ habe, Vorreiter bei der Klimaneutralität zu sein. Diese Pflicht
begründete sie als eine historische Schuld: Schließlich emittiere Deutschland
als früh industrialisiertes Land schon sehr lange CO2. Von einem Land wie
Liberia – Merkel saß gemeinsam mit der liberianischen Staatspräsidentin Ellen
Johnson-Sirleaf auf einem Podium – zu verlangen, es solle klimaneutral werden,
sei dagegen „zynisch“. Gerne übersieht sie: Es sind die wohlhabenden Länder,
die die Umwelt schützen und für ein besseres Klima kämpfen.
Noch gehört Deutschland zu den Vorreitern, weil es sich Klimaschutz leisten
kann, auch wenn er längst auf Kosten der letzten grünen Lungen und
Naturreservate in Deutschland geht. Ein verarmtes Deutschland aber wird sich
darum nicht mehr scheren (können).
Zynisch kann allerdings auch die Kanzlerin selbst erscheinen. Dann nämlich,
wenn man die Frau, die heute, koste es, was es wolle, alles dafür tut, als
Klimakanzlerin in die Geschichte einzugehen, mit der Frau vergleicht, die 2003
Oppositionsführerin war. Damals schilderte sie im Interview mit Hugo
Müller-Vogg ihren „Deutschland-Albtraum“ folgendermaßen: „Jeder besitzt eine
Windmühle und glaubt sogar noch, er tue etwas für die Umwelt, vergisst aber die
hohen Subventionen.“ Merkel sorgt dafür, dass ihr damaliger Albtraum
Wirklichkeit wird. Aber dann ist sie ja längst nicht mehr Kanzlerin.
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